In Krakau mit Peter Sternberg, Sept.'22


10.09.2022, 5.00 Uhr im ICE

Meine Reise ist jetzt sozusagen "in den letzten Zügen". Nach einigem Hin und Her fährt der ICE von Berlin nach Köln nun (es wurde gerade angesagt) nach der behobenen Stellwerksstörung den Hauptbahnhof in Köln an, so dass ich wahrscheinlich dort den vorgesehenen Anschluss nach Bonn erreichen werde.

Unten seht ihr meine Warteposition am Busbahnhof Krakau, zu dem Peter mich rechtzeitig um 9.00 Uhr hingefahren hatte. Dort haben wir uns sehr herzlich nach dieser sehr ungewöhnlichen Zeit verabschiedet, sehen uns aber am kommenden Mittwoch in Leipzig schon wieder! Dort beginnt der zweite, etwas andere Teile gemeinsamen Erlebens in Deutschland.

Nachdem gestern der Bus pünktlich in Krakau gestartet war, zeigte sich dass mein Platz in der letzten Reihe, zusammen mit vier weiteren Mitreisenden, war.

Neun (!) Stunden fast reglosen Sitzens wie in einer Sardinendose lagen vor mir. Ich musste an Tim aus Paszkowka denken, den 19-jährigen jungen Mann, der davon berichtete, wie er die Ukraine verlassen konnte. Er war ununterbrochen in einem vollbesetzten Bus über die Krim, hinein nach Russland über Moskau, und weiter über das Baltikum schließlich nach Polen hinein und nach Krakau unterwegs gewesen. Das macht mich wieder demütig, wenn ich meinen Trip gestern damit vergleiche.

In Berlin hatte ich einige Stunden Zeit, da ich auf einen früheren Bus ab Krakau umgebucht hatte, damit nicht das gleiche passiert wie bei der Hinfahrt (dass ich den Anschluss nicht erreiche).

Dort entstand am Alexanderufer das Nachbild, mit dem ich mich nun von der Reise endgültig verabschiede. 


08.09.2022, später Nachmittag

Die vergangenen Nacht war noch deutlich unruhiger als die davor, im Hotel und draußen, so dass ich recht wenig geschlafen habe.

Vor drei Stunden bin ich mit Peter zum letzten mal aus Paszkowka zurück gekehrt, unser Besuch war kürzer als sonst. 

Am Morgen fragte Peter mich per WhatsApp, ob wir uns heute später treffen wollen, er hatte noch vor (wovon ich wusste), mit der Öffnung des großen neuen Jüdischen Friedhofs (siehe einen meiner ersten Einträge) um 9.30 Uhr dort Müll zu sammeln. Einen großen Sack hatte er sich gestern im JCC geben lassen. Spontan fragte ich ihn: "Wie wäre es denn, wenn wir uns zusammen dort um 9.30 treffen und gemeinsam sammeln?". 

So trafen wir uns dort, er hatte sich Arbeitshandschuhe besorgt und wir wussten, dass in einer hinteren Ecke eine ordentliche Ansammlung von Flaschen, Papier, Glasscherben, Plastikzeug und - wie sich herausstellte - Fixerspritzen lagen. 

Wir fanden noch einen alten Plastiksack, den wir füllen konnten, so dass wir letztlich mit etwa 20 KG Müll in beiden Säcken zum Ausgang zogen und diese in einer großen grauen Tonnen versenkten. Da wir nicht alles mitnehmen konnten, will Peter noch einmal zurück gehen in den nächsten Tagen (er bleibt noch bis Dienstag nächster Woche).

Es war eine dieser Aktionen, mich mit ihm und jüdischer Geschichte eng zu verbinden, ich kann noch gar nicht sagen, was das alles für mich bedeutet!

Danach fuhren wir, etwas später als sonst, zum Palace auf dem Land, allerdings hatten wir nur etwa zwei Stunden Zeit.

Für mich war es auch die Zeit zum Abschied. Dieses mal waren wohl fast alle stark beschäftigt, aber eine Mutter , die mit ihrer Mutter und ihrer zweijährigen Tochter hier ist, war die ganze Zeit über intensiv unseren Übungen in QiGong und TaiChi gefolgt, sie hatte auch einige Vorerfahrungen durch Yogapraxis.

Ich schenkte ihr spontan ein T-Shirt, dass ich jemandem dort schenken wollte (schwarz, mit dem weißen Konterfei eines Mönchs in Gassho. Ich hatte es vor einigen Jahren bei 3Schätze gekauft). Ira, so heißt sie, freute sich riesig und nahm es mit Freude an. Sofort ging sie hinein und kam mit einem selbst gemalten Bild einer Buddhafigur zurück, das sie mir schenkte. Sie sprach nur ganz wenig Englisch, aber als wir uns verabschiedeten, fragte sie sehr unsicher "Friends?".

Wir wurden noch einmal zu Mittag verköstigt, dann mussten wir los, weil Peter wieder Klienten hatte.

In einer Stunde treffen wir uns zum letzten gemeinsamen Dinner hier in Krakau im Restaurant "Szara" am alten jüdischen Markt.

Unten seht ihr das Bild, das Ira mir geschenkt hat, und das für mich berührendste mit den Händen von der kleinen Diana und mir.

Soweit nun wohl meine Berichte von einer ganz besonderen Reise, zu der ich morgen um 10 Uhr mit dem Bus nach Berlin die Rückfahrt antreten werde. Wenn alles gut klappt bin ich am Samstagfrüh wieder in Bonn...


07.09.2022, später Nachmittag

Oje, ich sehe gerade dass ich meinen kurzen Morgeneintrag nicht gespeichert hatte!

Er war daher auch nicht zu finden...

Meine Nacht war recht unruhig, ich denke dass der nahende Abschied übermorgen schon seine Schatten vorauswirft.

Ich war nach unserer Rückkehr aus Paszkowka gestern auf der der Königsresidenz, dem Schloss Wawel (siehe die untere Fotogalerie).

Peter schickte mir heute früh seinen täglichen E-Mail-Bericht an seine Freunde, der unsere Situation, was wir hier tun, wie wir darüber denken, sehr gut zusammenfasst. 

Ich hätte es niemals so kompakt und auf den Punkt beschreiben können!

Ich bat ihn, der Übersetzung und der Veröffentlichung hier zuzustimmen, und er tat dies mit Freude.

Hier könnt ihr lesen, was Peter schrieb (in anderer Formatierung aus Word):

06.09.22

Reiner und ich bieten einen neuen Blick auf die Begegnung, das Zeugnis-Ablegen und die Versöhnung im Hier und Jetzt, wenn ein Deutscher (der navigiert) und ein Jude (der fährt) sich in einem Auto durch Krakau und Südpolen bewegen. Das Bild der Versöhnung kann in diesem kurzen Dialog eingefangen werden:

Fahrer: Da??!!

Navigator: NEIN!!! Nicht da!

Du sagst also, nicht da.

Das ist richtig, nicht da! Wir sind schon zweimal in diese Straße abgebogen, es ist nicht die richtige Straße.

Bist du sicher?

Ja, ich bin mir sicher.

OK, nicht da.

Gut, nicht dort.

Pause.... Ich möchte, dass du weißt, dass ich nie wieder diesen Weg einschlagen werde.

Gut.

Nie wieder.

Das ist gut. Ich auch nicht.

Für mich gibt es diesen Weg nicht.

Ich schließe mich dir an. Die Straße ist weg.

Unsere Hände bewegen sich, um die falsche Straße auszublenden.

Okay, Leugnen ist nicht sehr Zen, aber Lachen schon. Wir nennen das einfach Friedensstiftung.

In Paszkowka haben wir mit einer kleinen Gruppe Qi Gong gemacht und sind dann zurück gefahren, weil ich Patiententermine hatte. Morgen werden wir im JCC aushelfen.

Es stellt sich heraus, dass Reiner und ich über die gleiche Frage nachdenken: "Warum machen wir das?" Als ich mich auf das Schreiben vorbereitete, fiel mir folgendes ein: "Weil es sehr schwierig ist." Das klingt auf den ersten Blick egoistisch. Und vielleicht ist auch eine Komponente des Ego in diesem Satz enthalten. Aber es als einen bizarren Egotrip abzutun, würde Folgendes übersehen: Im Schwierigen, im extrem Schwierigen gibt es eine nackte Konfrontation mit der Realität auf "diesem staubigen Planeten", wie die Taoisten die Erde nennen. Sie tun das, um andere Realitäten zu bezeichnen, die himmlischer Natur sind und zu denen man Zugang hat, wenn man ein vollendeter Meditierender ist. Ich finde, dass es besonders in den schwersten Momenten dieser Reise wichtig ist, sich diese bereits erwähnte Tatsache bewusst zu machen: Die Welt ist beschissen, und der kleine Junge wollte, dass ich ihn fliegen lasse, und die Kinder wollten Frisbee spielen, und einige der Erwachsenen wollten Qi Gong und Tai Chi lernen. Und es fühlte sich gut an, den Menschen zu helfen, die genau hier und jetzt Hilfe brauchten. Hässliche, hässliche, ich meine verdammt hässliche Gefühle wurden in Reiner und in mir ausgelöst, als wir auf einem durch extreme Perversion entweihten Boden standen - nur damit das Hässliche vom anderen empfangen, bestätigt und dadurch entschärft wurde.

Die Einfachheit des Mitgefühls inmitten der Schwingungen der absoluten Perversion. Nun frage ich dich, wie könnte ich mich
davon fernhalten?

 

Soweit Peters Eintrag, dem ich als Zusammenfassung bisher nichts hinzufügen möchte!

Heute also trafen wir uns um 9.30 Uhr im JCC, wir wurden in die 3. Etage gebeten, wo wir wie am vergangenen Freitag damit begannen, Teebeutel in Portionen zu 15 in kleine Beutel zu packen. 3 Stunden lang...

Ich ging zum Mittag über die Straße, um dort ein sehr günstiges Mittagsmenü einzunehmen, und konnte von dort hinüberblicken zu der Schlange der Wartenden...

Der Innenhof war auch noch sehr voll, und die Menschen werden einzeln nach Kontrolle ihrer Ausweise hereingelassen (erstes Foto links unten).

Peter musste wieder früher zurück in sein Hotel um mit seinen Klienten via Zoom zu arbeiten.

Nach Mittag ging es weiter mit dem Abfüllen von Zucker, Erdnüssen, Müslipops usw..

Ich nutzte den Nachmittag um zum Ufer der Weichsel zu schlendern und dort ein Sonnenbad zu nehmen und ein paar weitere Fotos zu machen.

Mir tut es gut und ich finde es wichtig, dass ich neben unserer gemeinsamen "Pflicht" einen Raum für mich habe. Dennoch bin ich abends immer sehr erschöpft. ich denke auch, weil ich durchweg gezwungen bin, Englisch zu sprechen. Im JCC halfen wieder 5 Amerikaner, eine Spanierin und ich.


06.09.2022, am frühen Morgen

Das letzte Foto in der Galerie unten habe ich vor einigen Minuten aus meinem Hotelzimmer gemacht, etwa um 5.30 Uhr. Das ist die Zeit, wenn ich meist aufwache nach überwiegend ruhiger Nacht und 8-stündigem Schlaf. Abends bin ich in vielen Fällen gegen 21 Uhr so müde, dass ich sofort einschlafen kann. 

Gestern war ein eher ruhiger, erholsamer Tag, der auch nach den Erfahrungen des Vortags nötig schien. Wir hatten uns um 11.30 Uhr am Hotel des Zauberers Tom und seiner Frau Janet aus Vermont verabredet, um die beiden mitzunehmen nach Paszkowka.

Sie gaben dort um 13 Uhr eine Vorstellung in der Grundschule und am Nachmittag einen Workshop für die Kinder im Palace. Peter hatte um 16 und 17 Uhr jeweils Klienten. So hatte ich eine entspannte Zeit nach dem Mittagessen dort.

Bis Peter seine Online-Verabredungen hatte, wurden wir von 3 Erwachsenen, die schon an unseren QiGong- und TaiChi- Übungen teilgenommen hatten, noch gebeten, die bereits erlernten Sequenzen (QiGong im Sitzen und die TaiChi-Form "24 Steps") zu wiederholen bzw. ein paar Steps weiter kennen zu lernen. Sie gaben uns die Erlaubnis, ein paar Abschnitte daraus zu filmen, und so machte ich ein paar Aufnahmen mit Peters Videokamera.

Danach verschwanden alle zu ihren einzelnen Aufgaben, und so blieb mir eine gute Stunde Zeit draußen, die ich als entspannte, erholsame Zeit nutzen konnte. Beim Umherstreifen im Gelände des Palace stieß ich auf einen Erdhügel mit Eingang, der wohl früher als ein irdenes Vorratshaus gedient haben muss. Der Eingangsbereich wurde von einem riesigen Spinnennetz bespannt, in dessen Mitte eine recht große Gartenkreuzspinne wachte ( siehe die Fotos 3 und 4 unten).

Tim, Yulia und Wlada hatten ihren Zauberworkshop beendet und hatten noch Lust, meiner Einladung zu einer Runde Frisbee für ein gute halbe Stunde zu folgen.

Gegen 18 Uhr fuhren wir zu Viert zurück nach Krakau.

Nach einem Abendessen beim sehr guten Italiener um die Ecke entstand das Straßenfoto, als es schon dunkel war. Es reflektiert sehr schön die Abendstimmung hier im Viertel...


05.09.2022, früh morgens

Am gestrigen Sonntag hatten Peter und ich geplant, die weiter nordöstlich und etwa eine Autostunde entfernte Stadt Tarnow zu besuchen. 

Ein bemerkenswerter Ort mit heute etwa 105.000 Einwohnern, mit sehr wechselnder Vergangenheit unter der Herrschaft von Privatfürsten, Russland, Österreich (Habsburger), Litauen, und hatte zu Beginn des 2. Weltkriegs einen Anteil von etwa 45% an jüdischen Einwohnern (von damals etwa 55.000)

Peter hatte eine Führung mit einem örtlichen Lehrer gebucht, der den Ort und seine Geschichte sehr gut kennt und uns über drei Stunden die Besonderheiten nahebringt.

Die wechselnden Besetzungen zeigen sich in der Architektur des Städtchens, dessen alter Kern zentral das Rathaus mit dem großen Markt bildete und das von einer umlaufenden 900 Meter langen Stadtmauer umgeben war. Häuserzeilen, die deutlicher unter dem Einfluss österreichischer Architektur entstanden sind (z.B. das erste Foto unten links).

Markus erklärt uns sehr bildhaft und an den entsprechenden Orten, wie sich die Geschichte der Stadt entwickelte, aber vor allen Dingen auch was geschah, als die Wehrmacht am 7. September hier einzog. Die jüdische Bevölkerung musste ab 1942 in einem Ghetto leben, ab dann wurden die ersten Transporte zur Vernichtung nach Belzec und Auschwitz durchgeführt.

Ich möchte im Einzelnen nicht aufzählen und berichten, wie die Vernichtung in der Stadt sich abgespielt hat, aber es gab u.a. einen nahe gelegenen Wald, in dem 8000 Menschen erschossen und in vermutlich 13 Massengräbern (sechs sind sichtbar, man vermutet weitere sieben darunterliegend) verscharrt wurden. Peter und ich wenden uns dem Grab zu, in dem 800 Kinder vermutet werden, und Marcel geht zurück zum Auto, da er uns dort alleine lassen möchte. 

Wir legen mitgebrachte Steine auf die Grabplatte mit einer Erinnerungstafel, und ich hänge eine mitgebrachte Feder einer Eule an einen der Umrandungspfähle. 

Beide lesen wir, wie schon in Auschwitz an der Gaskammer, Susannes Text "Verfluchter Ort/Maledict Place", dieses mal Wort für Wort parallel in Deutsch und in Englisch.

Ich wollte dort noch den wunderbaren Text von Roshi Wendy Egyoku Nakao lesen (I call to you/Ich rufe Dich), der mich schon seit vielen Jahren an manche Orte begleitet hat.

Wir lesen ihn zusammen, mir bricht immer wieder die Stimme weg, und Peter hält mich.

Ihr findet den Text in der deutschen Version unter dem Menüpunkt "Über mich".

Ganz bewusst habe ich nur ein Foto von diesem Ort unten eingefügt...

Heute werden wir wieder in Paszkowka sein, ein Zauberer aus den USA, Tom Verner, ist zum zweiten mal mit seiner Frau hier (im Mai zum ersten mal für ein Wochenende) und gibt für die dort lebenden Menschen heute und morgen Vorstellungen und Workshops mit den Kindern.

Wir holen die beiden am späten Vormittag hier in Krakau im Hotel ab und fahren zum Palace.


03.09.2022, abends

Eigentlich hatten wir für heute den Besuch einer Gedenkstätte in Kattowitz geplant, aber beide waren wir uns gestern Abend noch einig, dass wir wieder nach Paszkowka fahren. Es war uns beiden klar geworden, dass wir die Kinder dort vermissen!

Das hätten wir uns am Anfang der Woche niemals träumen lassen , dass etwas in der Art geschehen würde.
Ich glaube, dass insbesondere Peters Art mit Kindern umzugehen (er hat schon mit vielen traumatisierten Kindern gearbeitet) eine Verbindung geschaffen hat, die vertrauensvoll und leicht ist.

Das zeigte sich auch wieder heute. 

Wir waren etwas später dran als sonst, und als wir gegen 11 Uhr dort ankamen, war draußen hinter dem Palace niemand zu sehen. Wir wussten auch nicht, ob nicht alle irgendwie mit Wochenendvorbereitungen oder ähnlichem beschäftigt sein würden.

Wir beide finden einfach mit einer TaiChi-Lektion an, die Peter mir gab, und bald darauf erschien Yulia (die Übersetzerin) und die kleine Diana mit ihrer Mutter und ihrer Freundin Lera, die etwas größer ist als Diana. Sie hatte schon in den Tagen zuvor immer versucht, dass beim Frisbee ich ihr die Scheibe zuwerfe, da sie sie von mir am besten fangen konnte.

Nun holte sie eine Frisbeescheibe, nahm meine Hand und zog mich aus meinem Gartenstuhl auf die Wiese. Alles ohne Worte.

Sogleich folgten Peter, Yulia, Lera, Dianas Mutter und Tim (der zwischenzeitlich dazukam), und wir hatten Riesenspaß dabei, mehr oder weniger gut mit der Scheibe in Bewegung zu sein. Wir nahmen noch zwei Frisbees dazu, und das wurde dann zu einer ganz schön heftigen und anstrengenden Sportübung für uns alle! Aber es machte Riesenspass.

Diana stand immer so, dass sie die Scheibe von mir zugeworfen bekam.

Es ging schon auf Mittag zu, wir setzten uns für eine Pause hin und Dianas Mutter zeigte mir auf ihrem Handy, das ihre Tochter und ihre Freundin Lera wunderbare Bilder malen. Sie spicht kein Englisch, aber die Verständigung ohne Worte funktioniert wunderbar. Sogleich zogen sie uns in den Speiseraum, in dem einige der Bilder von beiden hingen, und nahmen uns, unter freudiger Begleitung von Dianas Mutter, mit in den Raum in der ersten Etage, wo sie ihre Bilder malen. Plötzlich kamen beide mit jeweils einem ihrer Bilder zu uns und überreichten sie uns als Geschenke (von beiden jeweils eins für Peter und mich. Auf die Rückseiten schrieben sie noch Widmungen: "From Diana for Reiner/Peter" und From Lera for Reiner/Peter".

Wir beide konnten nicht fassen was hier gerade geschah...

Dianas Mutter machte Fotos, und ich hoffe noch ein paar davon zu bekommen.

An einer Wand hing ein etwa 5 Meter langes und einen Meter breites baumwollenes Laken, auf das die Kinder alle gemalt hatten, unter Anderem hatten sie dort Handabdrücke mit Fingerfarbe hinterlassen, indem die Finger blau und die Handfläche gelb eingepinselt wurden und so die Abdrücke als Flagge der Ukraine abgebildet wurde. Peter hatte die Idee, dass wir das auch gerne machen würden, und so pinselten sie uns die rechte Hand blau und gelb ein, Diana machte das ebenfalls, und gemeinsam drückten wir unsere Hände auf eine freie Stelle auf dem Laken. Was für eine wunderbare Aktion!

Vielleicht klingt das jetzt etwas übertrieben, aber man bedenke dass wir vor 5 Tagen noch niemanden hier kannten, und die Kinder bringen uns ein solches Vertrauen entgegen, so dass wir es selber kaum fassen können. Was das für die Mütter hier bedeutet, wird uns noch einmal klar, als wir wahrnehmen konnten, dass Dianas Mutter während der ganzen Aktion lächelte und glücklich zu sein schien. Ansonsten wirkte sie immer sehr ernst und sah traurig aus.

Nach dem Essen tauchte niemand mehr draußen auf, und so machten wir noch ein paar TaiChi-Bewegungen, bevor wir gegen 14.30 Uhr zurück nach Krakau fuhren.


03.09.2022, am frühen Morgen

eine unruhige Nacht liegt hinter mir, draußen saß eine Gruppe junger Leute bis zum frühen Morgen und unterhielt sich ziemlich laut, lachend und johlend, so dass ich irgendwann das Fenster schließen musste nach mehrmaligem Aufwachen.

Der gestrige Tag verlief vollkommen anders als die Tage zuvor in Paszkowka, da Jola uns mit Klementyna, einer der für die Verteilung der gespendeten Lebensmittel beim JCC (Jewish Community Center) verantwortlichen Helfer, in Kontakt gebracht hatte. Wir erfuhren, dass dort immer tagsüber helfende Hände benötigt wurden, um palettenweise bereitstehende verpackte Lebensmittel in kleinere Portionen abzufüllen. Die Ausgabe dort ist täglich von 10-15 Uhr geöffnet, schon um 9 Uhr warten die ersten Frauen draußen.

Das JCC befindet sich am Rand des Viertels Kazimierz direkt neben der neuzeitlichen Synagoge und wurde von Prinz Charles gestiftet und am 07.04.2008 von ihm eingeweiht.

Da das schmiedeeiserne Tor verschlossen war, klingelten wir, und ein Wachmann kam heraus um zu sehen was wir wollten. ich sprach ihn an und fragte nach Klementyna, aber er sprach kein Englisch und gab uns zu verstehen, dass sie heute nicht hier sein wird. Wir blieben dennoch dort, und wenig später kam eine junge Helferin aus der Ukraine und bat uns auf Englisch, doch hereinzukommen. Ein großer Raum war dort eingerichtet, wo in Regalen alle möglichen Lebensmittel und Ständer mit Kleidung bereitstanden. Nebenan befand sich der Raum, wo Paletten voll mit gespendeten Lebensmitteln aller Art in Dosen, großen Packungen und Säcken bereit standen. An einem langen Tisch konnten wir Platz nehmen und begannen, Großpackungen mit Teebeuteln zu jeweils 15 in kleine Plastikbeutel portionsweise aufzuteilen und abzupacken. Nach und nach kamen weitere Helfer hinzu, die schon über mehrere Tage oder auch schon zu früheren Zeiten dort geholfen hatten, zwei Männer und eine Frau aus den USA, dann ein Paar aus Melbourne. Wir kamen schnell ins Gespräch, sie waren allesamt Nachfahren jüdischer Vorfahren, und ich erfuhr, dass der Mann aus Melbourne in den Siebzigerjahren in Bonn gewesen war und ein paar Worte Deutsch sprach. 

Die größte Überraschung war für mich, als er berichtete, dass sein Vater 1945 aus Buchenwald befreit worden war! Wie klein ist doch die Welt! Sie blieben aber nur kurz, so dass es während des Abpackens nicht möglich war, in einen längeren Austausch zu kommen.

Nach und nach, der Tee war abgepackt, nahmen wir uns kleine Säcke mit Reis, Linsen, weißen Bohnen und Nudeln vor und verpackten mit Hilfe von Messbechern jeweils ein 400g-Maß in verschließbare Kunststoffbeutel, so dass die sich leerenden Regale in der Ausgabe wieder aufgefüllt werden konnten. Peter und ich arbeiteten Hand in Hand, während später noch eine Frau aus Spanien und ein weiterer amerikanischer Jude dazu kamen. Neben den Dingen,, die wir verpackten, wurden von den anderen Helfern noch Kaffee, Salz, Zucker, Kakaopulver usw. abgefüllt.

Von Beginn an bis zum Schließen der Ausgabe um 15 Uhr war ständig Hochbetrieb dort, und es waren überwiegend Mütter mit kleinen Kindern oder ältere Frauen, die dort die Nahrung für den täglichen Bedarf abholen konnten.

Zwischendurch kamen Jola und Katya und waren erfreut uns dort zu sehen. 

Katya machte dieses Foto während die Beiden uns besuchten (Jola steht hinter mir).

Um die Mittagszeit bekamen Peter und ich doch Hunger, und wir wechselten die Straßenseite zu einem einladenden kleinen Restaurant, wo wir draußen auf dem Bürgersteig ein sehr wohlschmeckendes, günstiges, polnisches Menü einnehmen konnten.

Peter hatte am Nachmittag wieder Online-Klienten, so dass wir mit der Schließung der Ausgabe um 15 Uhr den Ort verließen.

Wir planen, in der kommenden Woche mindestens noch für einen weiteren Tag dort zu helfen. 

Ich machte mich auf den Weg (20 Minuten Fußweg) ins alte Stadtzentrum, um den großen Marktplatz mit der ehemaligen Tuchhalle wieder zu sehen, den ich vom Besuch 2011 in Verbindung mit dem Auschwitz-Retreat schon kennengelernt hatte. 

Gegen 18 Uhr kehrte ich ziemlich geschafft ins Hotel zurück.

Unten seht ihr ein kleines Video mit einem Eindruck von dort.


Dieses Foto wurde uns heute (02.09.) zugeschickt, aufgenommen von einem der geflüchteten Menschen in Paszkowka. Wir selber fotografieren dort nicht (zumindest keine Personen). Es zeigt unser Frisbee-Spiel an einem der ersten Tage. Unten seht ihr ein kurzes Video, bei einer der TaiChi-Anleitungen.


01.09.2022, nach einem Abendessen mit Peter

Vorweg: der Text entstand, als die WLAN-Verbindung nicht ausreichte, um die Seite aufzubauen. Daher habe ich ihn in Word verfasst und jetzt, am frühen Morgen des 02. September, eingefügt. Daher auch die andere Formatierung...

 

Es ist schon Donnerstag, die Tage fliegen nur so dahin, und am morgigen Freitag ist die Hälfte meiner Zeit hier schon vorbei.

Beide sind wir einer Meinung, dass es ein fruchtbares Unterfangen ist, in das wir hier eingetaucht sind.

Wir waren wieder für ein paar Stunden in Paszkowka, und manche der Kinder wurden heute hier in der Dorfschule eingeschult. Nach der Zeremonie kamen einige sofort hinter das Gebäude, wo Peter und ich schon ein wenig Frisbee spielten, und gesellten sich zu uns.

Peter hat sich auf seine einnehmende Weise mit einem höchstens ein Jahr alten, kleinen und immer strahlenden Jungen angefreundet (die Mutter ist natürlich immer dabei) und hat Riesenspaß mit ihm. Ich beschäftige währenddessen zwei Mütter mit ihren kleinen Töchtern, indem wir die ersten Wurf- und Fangversuche mit der Frisbeescheibe machen.

Es ist unübersehbar, wie viel Freude sie daran haben und die Ablenkung genießen.

Zögernd kommen heute auch zwei kleine Jungen dazu, stehen zunächst am Rand, bis ich ihnen einen Fußball zuschieße, um sie einzuladen. Es ist dabei erstaunlich, wie lange sie gewartet haben bis sie sich trauen, mit uns auf diese Weise in Kontakt zu kommen.

Umso erfreulicher ist es für uns!

Bei Mittagessen gesellen Jola und Katya sich zu uns und berichten, welche positiven Rückmeldungen sie über unser Hiersein bekommen. Es ist schon fast peinlich, aber ich finde es wichtig, diese auch anzunehmen und zu uns zu nehmen, als für mich in diesem Maß nicht erwartete Wirkung dessen was wir hier tun.

Jola ist eng vernetzt mit dem JCC (Jewish Community Center) Krakau und fragt uns, ob wir nicht Lust haben, auch mal dort auszuhelfen. Von diesem werden 500-600 Geflüchtete Menschen, die hier in Krakau vorübergehend sind, mit dem Nötigsten versorgt, und das verlangt einen großen logistischen Einsatz. Sie stellt sofort per E-Mail einen Kontakt her, und es kann sein dass wir morgen dort schon einmal hineinschauen.

Währenddessen machen wir (Peter und ich) uns schon Gedanken, wie wir auf achtsame undverbindliche Weise unseren Abschied von Paszkowka gestalten könnten. Katya hält es genau wir wir für besonders wichtig, nicht einfach wegzubleiben, sondern die entstandenen Kontakte mit dem entstandenen Vertrauen und Zu-Trauen, je nach Wunsch der Kinder und Erwachsenen, behutsam zu gestalten.

Peter hat am Nachmittag und am Abend noch online-Therapiesitzungen mit Klienten in den USA, dazwischen nehmen wir uns die Zeit, zu einem guten Abendessen im Kazimierz (dem berühmeten jüdischen alten Viertel) noch eine kleine Mahlzeit einzunehmen.

Was uns beiden immer wieder auffällt, ist unser unkomplizierter, herzlicher und sehr humorvoller Kontakt und die Zusammenarbeit als Team.

 

Oftmals am Tag, besonders während der Autofahrten, lachen wir uns halbtot über eigene Situationen, die meist unfreiwillig und spontan entstehen. Das erlebe ich als wichtigen und herzlichen Gegenpol zu den Themen, mit denen wir konfrontiert sind.

 

Abschließend unten ein paar Schnappschüsse aus der Umgebung meines Hotels im alten jüdischen Viertel Kazimierz und von den Wegen, die ich hier so täglich gehe. 


31.08.2022, am Abend

Gegen 18 Uhr komme ich zurück aus diesem Tag ins Hotelzimmer, aber die schlechte WLAN-Verbindung hindert mich zunächst daran, Fotos zu laden und diesen Text zu schreiben.

Gerade ist die Verbindung stabil, und so sitze ich um halb neun am Laptop und tippe meine Tageseindrücke in die Tasten.

Die Fotos unten sind einige der Eindrücke, die ich heute Nachmittag mit Peter hatte, als wir spontan nach Beendigung unseres selbstgewählten Auftrags in Paszkowka entschieden, das am südöstlichen Stadtrand von Krakau gelegene ehemalige KZ Płasów aufzusuchen.

Viele erinnern sich sicher an den Film "Schindlers Liste", in dem dieses Lager mit seinem berüchtigten Kommandanten Amon Göth ein große Rolle spielte.

Wohnblocks reichen direkt bis an die jetzige natürlich Grenze des ehemaligen Lagers heran, damals hätten diese Gebäude noch innerhalb des Lagergeländes gestanden. 

Eine unwirkliche Atmosphäre, da sich nur noch ein Gebäude (das sogenannte "Graue Haus") aus der KZ-Zeit dort befindet, wo wir unser Auto parken und sich der Haupteingang befand. 

Soweit wir erst mal schauen können, breitet ich vor uns leicht hügelig ansteigend ein Gebiet aus, das sich die die Natur komplett zurück erobert hat. Ein Rundweg erschließt sich uns als Möglichkeit, die einzelnen markanten Punkte mit erklärenden Tafeln über einen Trampelpfad anzusteuern. 

Während unseres Rundgangs und indem ich die erklärenden Tafeln lese und betrachte, werde ich immer wieder erschüttert von der Vorstellung, was sich hier abgespielt haben muss. Obwohl ich während der letzten 13 Jahre schon an einigen Orten des Grauens gewesen bin, breche ich innerlich immer wieder mal zusammen, und Peter ist zum Glück dabei, um mich zu halten und wieder in die Realität zurück zu holen.

Sicher fragt sich der eine oder die andere: Warum tut der sich das an, wenn es so schmerzhaft ist?

Diese heutige Erfahrung, ähnlich wie meine erste in Buchenwald 2009, oder in Ruanda 2014, führt mich durch diesen Schmerz hindurch und verpflichtet mich für mein heutiges Dasein als Peacemaker, gemäß meinen abgelegten Gelübden, Frieden-stiftend bis in den kleinsten Alltag hinein mein Bestes zu geben.

Dies im Wissen, dass es mir nicht immer gelingt, aber meine Absicht geht in diese Richtung.

Heute habe ich dies bekräftigen können.

In Paszkowka übrigens haben wir heute weiter mit einer kleinen Gruppe interessierter Bewohner TaiChi geübt. Und morgen sind wir auch wieder dort...


30.08.2022, abends

Gerade bin ich zurückgekehrt von einem Treffen mit Peter und Jola, die wir nun auch persönlich beim Abendessen in einem thailändischen Restaurant kennen lernen durften.

Über sie war der erste Kontakt zustande gekommen, und nun saßen wir an diesem Abend zusammen. Auch hier durften wir wieder spüren, wie willkommen wir sind und dass das, was wir in Paszkowka machen, für die Bewohner dort sehr wichtig ist.

Ich fasse mich heute kürzer, wir waren heute auch nur von 10.30 bis 14 Uhr dort, aber die Zeit war nicht weniger bewegend als gestern.

Wir spielten lange Frisbee mit den Kindern, so dass ich irgendwann auch an meine physischen Grenzen kam. Die Freude aber, dass wir die Kinder zum Lachen bringen konnten, machte das alles wett.

Ihre Mütter oder Großmütter schauen zu und sind einfach glücklich, dass ihre Kleinen Spaß und Freude haben! Und das sagen sie uns, dankbar.

Erschreckend ist für mich, zu beobachten, wie die Kinder plötzlich wie angewurzelt stehen bleiben und ängstlich nach oben schauen, wenn ein Verkehrsflugzeug den Ort überfliegt.

Wir können uns denken, dass dies natürlich Reaktionen auf traumatische Kriegserlebnisse sind. Mich bringt das wieder sehr nah an das furchtbare Geschehen heran, das weiter im Osten im Gange ist.

Zum Abschluss des Tages war es vorhin für mich sehr angenehm, die 500 Meter vom Thai-Restaurant quer durch das alte jüdische Viertel Kazimierz zum Hotel zu bummeln.

Es ist abends sehr lebendig hier, die Kneipen, Bars und Restaurants sind gut besucht, besonders von jungen Leuten, die bei Musik (manchmal auch Live) und einem Getränk ihren Tag ausklingen lassen. Für mich eine wunderbare, friedliche Energie...


29.08.2022, am Abend

Heute sollte sich zum ersten mal zeigen, in welcher Form wir hier, das heißt in und um Krakau herum, unterstützend hilfreich sein können.

In Peters Hotel treffen wir Katya, mit der wir vor einigen Wochen schon ein vorbereitendes Gespräch über Zoom hatten. Sie ist Psychologin aus Lwiw und bereits in der ersten Nacht des Kriegsbeginns nach Polen geflüchtet. Sie lotst uns nach Paszkowka, ins dortige ehemalige Hotel Paszkowka Palace, ein Neogotischer Palast von 1870. Dort sind seit einigen Wochen Geflüchtete (meist Familien oder Großeltern mit ihren Enkeln) untergebracht, die ihre Erstunterkunft in Krakau verlassen mussten.

Katya steht zusammen mit Jola (die Hauptorganisatorin) für die Belange und Bedürfnisse in dieser besonderen Lage zur Verfügung. Ansonsten finden wir dort eine selbstorganisierte Gemeinschaft vor, Mütter mit ihren Kindern, Großeltern mit Enkeln, und ein paar ältere Männer.

Wir werden neugierig erwartet und herzlich begrüßt, und sofort stehen wir draußen auf einer riesigen Wiese hinter dem Palast, die von uralten Bäumen umringt ist. Ein wunderbarer Ort um damit zu starten, was wir in Absprache mit Katya machen wollen. Peter leitet die fünf vorbereitenden Übungen des QiGong an, nach und nach wird der Kreis der Teilnehmenden, von ganz klein bis groß, immer größer.

Es ist spürbar, dass der Wunsch nach Ablenkung und das Bedürfnis, etwas neues zu lernen, groß ist.

Peter macht einige Erklärungen dazu, die von der einzigen Englisch sprechenden Bewohnerin ins Ukrainische übersetzt wird. Sie ist Studentin aus Lyssytschansk im Osten der Ukraine, wo heute der zermürbende Stellungskrieg tobt. Sie hat damit begonnen, den Bewohnern, auch den Kindern, Englisch beizubringen, in einem improvisierten Klassenraum.

Nach den QiGong-Übungen leitet Peter einen ersten Teil seiner TaiChi-Form an. Morgen und in den nächsten Tagen wollen wir nach und nach diese Form dort anleiten und wir sind gespannt, ob morgen überhaupt noch jemand interessiert daran ist. Wir tun dies im Bewusstsein, dass wir keinen Anspruch an ein Ergebnis haben, aber uns wünschen, dass es den Menschen ein wenig Ablenkung und Bewegung bringt.

Danach holt Peter vier Frisbeescheiben hervor, die er mitgebracht hat, und einige der Kids haben große Freude daran, mit uns die ersten Wurf- und Fangversuche zu machen.

Mittag! Wir werden in den Gemeinschaftsraum (Foto unten rechts)eingeladen, den früheren Speiseraum des Hotels, wo wir über die Maßen und unseren Hunger hinaus bewirtet werden.

Später erfahren wir von der Köchin, dass sie mit ihren fünf Enkeln hier ist. Sie kommt aus Saporischschija, wo gerade das riesige Atomkraftwerk heftig umkämpft ist. Dort war sie Inhaberin eines Restaurants, das mittlerweile zerstört ist. Sie ist hier, damit ihre Enkel in Sicherheit sind, der Rest der Familie ist noch dort.

Mit ihr und einer Frau aus Cherson sowie Yulia, der Übersetzerin, sitzen wir nach Mittag draußen zusammen. Als wir nach draußen kommen, gehen drei Männer, die mit ihnen dort saßen, nach drinnen. Was das genau bedeutet kann ich gar nicht sagen, vielleicht finden wir es noch heraus.

Im Gespräch mit den Drei Frauen erfahren wir (ohne danach zu fragen) ein paar Fetzen ihrer Geschichten, die diesen Krieg hautnah an uns heran bringen.

Mir wird klar, dass meine Weigerung von Anbeginn des Krieges an, mir immer wieder Bilder und Berichte von dort anzuschauen, eine gute Entscheidung war. Indem wir nur zuhören, entsteht Vertrauen, und wir hätten niemals versucht, irgendetwas erfahren zu wollen.

Dies so hautnah zu erleben könnten Fernsehbilder niemals vermitteln! Ich sage dies jenseits jeglicher Sensationslust, denn diese hätte niemals das entstandene Vertrauen entstehen lassen

Und es hätte mich ebenso niemals derart in der Tiefe berührt und demütig gemacht wie es heute Nachmittag geschehen ist.

Gegen 16 Uhr fahren wir zurück nach Krakau, morgen werden wir dort wieder erwartet.

 

Ein Bild unterhalb (2.v.r.) zeigt von Kids gemalten Bilder, die den gesamten Speisraum umringen, und aus vielen spricht der große Verlust und die Sehnsucht nach zu Hause.

 


29.08.2022, morgens

Der gestrige Sonntag führte uns noch ein mal nach Auschwitz zurück, wo wir beide schon einmal zusammen mit Bernie Glassman und einer Gruppe von ZenPeacemakern an einem Bearing Witness Retreat teilgenommen hatten.

Ich war dort 2011, Peter 2014. Der Tag war für uns geeignet, weil unsere Verbindungskontakte Jola und Kasia vorgeschlagen hatten, uns am heutigen Montag erstmals zu treffen.

Nahe bei Peters Hotel liegt der jüdische Zentralfriedhof, den wir am Vormittag besuchten. Dort befinden sich u.a. Grab- und Erinnerungsstätten für jüdische Menschen, die noch 1946, nach Ende des 2. Weltkriegs, umgebracht wurden bevor sie nach Israel ausreisen konnten. Es waren über 100...

Mit dem Ziel, außerhalb des ehemaligen Lagers Auschwitz-Birkenau die sogenannte "Alte Judenrampe" zu besuchen, fuhren wir die rund 50 Kilometer von Krakau entfernt gelegene Stätte an. Diesen Ort hatten wir beide bei unseren vorherigen Besuchen nicht gesehen.

Dort kamen die ersten Transporte an, bevor später ein Gleis direkt nach Birkenau hinein gelegt wurde, mit der großen Selektionsrampe. Es war ein Nebengleis des Bahnhofs Auschwitz, etwa 300 Meter vom Hauptlager entfernt.

Wir fanden dort zwei alte geschlossene Transportwaggons vor, von denen einer gerade restauriert wird. Vier Hinweistafeln beschreiben das damalige Geschehen.

Spontan fragte Peter mich, ob ich seine Videokamera halten und führen könne, und er begann, vor einem der Waggons eine TaiChi-Übung zu machen. Es wirkte wie eine Verneigung vor dem Ort mit seinen grausamen Geschehnissen. Von seiner Praxis inspiriert, fragte ich ihn, ob er mich bei meiner Übung filmen könne. Ich hatte mich entschieden, trotz sehr ungünstigen Bodens aus Schottersteinen eine Übung als eine Art Gebet zu praktizieren, die ich aus meinem Training in Bonn kenne. Trotz meiner fehlenden Standsicherheit konnte ich die "Waldsinfonie" (so heißt die Übung) einigermaßen sicher durchführen, es durchströmte mich eine Welle von Dankbarkeit und gleichzeitiger Trauer im Mitfühlen der damaligen Geschehnisse.

Später fuhren wir die wenigen Meter weiter zum ehemaligen Lager Birkenau. Susanne hatte mir einen Text mitgegeben, in Deutsch und in Englisch, den wir dort an den Ruinen einer der Gaskammern verlesen wollten. Unser Zeitrahmen wurde langsam eng, da Gewitter aufzogen, und so konnten wir dort auch nur dies durchführen.

Eingebettet in einen kleine zeremoniellen Rahmen verlas ich tief berührt den Text "Verfluchter Ort", den meine Partnerin Susanne 2010 bei einem Besuch der Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg geschrieben hatte. Peter tat dies anschließend mit der englischen Version.

Diese kleine Zeremonie hat uns in diesem Moment beide tief mit Susanne verbunden!

Gerade so schafften wir es vor einem aufziehenden Gewitter zurück zum Parkplatz und ins Auto.

Es war später Nachmittag mittlerweile, und nach der Rückkehr verabschiedeten wir uns in unsere Hotels.

Ich habe mehr als zehn Stunden geschlafen letzte Nacht, die Nachwirkungen der Reise...

Heute sind wir um 10 Uhr an Peters Hotel mit Kasia verabredet, mit der wir zu der von ihr und Jola betreuten Flüchtlingsunterkunft Paszkowka fahren werden. Wir sind sehr gespannt was uns dort erwartet, und wie wir dort hilfreich sein können.

Die Fotos unten zeigen die "Alte Judenrampe".

 


28.08.2022, am frühen Morgen

Nach der vorherigen Reisenacht im ICE von Bonn nach Berlin, annähernd ohne Schlaf, konnte ich im mir noch fremden, kleinen und einfachen Hotelzimmer ganz gut schlafen.

Im Rückblick erscheint mir die Entscheidung, auf die für mich günstigste und ökologisch vertretbare Weise zu reisen, als die genau richtige. Auch wenn ich unterwegs innerlich so oft ob der immer wieder neu auftretenden Hindernisse geflucht und den Kopf geschüttelt habe, so bin ich doch heil und gesund hier angekommen.

Was mich gegen Ende der 9-stündigen Busfahrt von Berlin nach Krakau bewegt hat, ist die Tatsache, dass ich sicher und komfortabel, mit einem Ziel vor Augen unterwegs sein konnte. Auch wenn meine Ankunft auf Grund des in Berlin verpassten Busanschlusses sich um 5 Stunden verzögerte, so wusste ich doch, dass ich ein Hotelzimmer haben werde, und es gibt dort am Busbahnhof jemanden, der mich erwartet und mit dem angemieteten Auto ins Hotel bringen wird.

Das verbindet mich mit dem, weshalb wir hier sind, und was mich schon seit vielen Jahren beschäftigt und zu einem Schwerpunkt als Peacemaker aktiv sein lässt:

Krieg mit seinen sekundären Themen Flucht und Vertreibung weltweit, geflüchtete, entwurzelte Menschen und die Folgen auf deren Leben und ihre Nachkommen. 

Wir sind hier nicht so weit von der Grenze zur Ukraine entfernt, und seit einem halben Jahr wird dort von Russland im Osten, und teilweise von Belarus im Norden aus, ein Krieg geführt, der schon (spätestens 2014) begann und Millionen von Menschen nach Westen, nach dem benachbarten europäischen Ausland flüchten ließ.

Diese wissen und wussten nicht, wann uns wo sie irgendwo ankommen werden, ob sie in Sicherheit sein werden, was mit ihren zurück gebliebenen Verwandten, ihren Häusern, ihrer Heimat geschieht, und ob sie jemals dorthin zurückkehren können.

Die Ukraine steht für mich hier nur als ein (geografisch nahe liegendes) Beispiel für ständig und in vielen Teilen der Welt stattfindende Kriege mit ihren schrecklichen Auswirkungen.

Hier in Krakau sind viele dieser Geflüchteten, hauptsächlich Frauen und Kinder, gestrandet und werden von vielen freiwilligen Organisationen betreut . 

Hier wollen wir versuchen, einen Beitrag nach unseren Möglichkeiten zu leisten, und dort hilfreich zu sein, wo es not-wendig ist.

 


26./27.08.2022:

Für diejenigen, die jetzt schon mal reinschauen:

nach 23 Stunden über Land mit Bahn und Bus bin ich heute Abend gegen 21 Uhr in Krakau angekommen!

Peter hat mich am Busbahnhof in Empfang genommen und zum kleinen, alten Jugendstilhotel "Secesja" gebracht.

Mehr über diese denkwürdige Reise berichte ich nach einer hoffentlich erholsamen ersten Nacht...